Cello spielen ist für mich ein bisschen so wie Fahrrad fahren: Ich tue es einfach. Die einzelnen Bewegungsabläufe zu erklären, sie überhaupt irgendwie in Worte zu fassen, fällt mir sehr schwer. Aber ich bin ja auch keine Musikpädagogin.
Julia Hecht schon. Die 34-jährige Berlinerin ist als private Cellolehrerin auf den Unterricht erwachsener Anfänger spezialisiert. Außer dem Vornamen und dem Lieblingsinstrument haben wir noch etwas gemeinsam: Auch sie spielt nämlich in einer Band – einer professionellen allerdings. Die Gruppe heißt „Someone´s Diary“.
Hecht ließ sich zunächst an der Berufsfachschule für Musik in Bad Königshofen zur Staatlich geprüften Leiterin in der Laienmusik ausbilden und studierte anschließend Instrumentalpädagogik mit Hauptfach Violoncello an der Akademie der Tonkunst in Darmstadt. Parallel dazu absolvierte sie eine Ausbildung zur Streicherklassenlehrerin nach der Rolland-Methode.
Ich interessiere mich vor allem für ihre zweibändige Celloschule „Cello spielen. Eine Einführung für neugierige Erwachsene“, die sie 2007 bzw. 2009 bei „Edition Peters“ herausgebracht hat. Am Telefon erzählt sie mir davon.
Frau Hecht, warum sollte jemand – Ihrer Meinung nach – eigentlich im Erwachsenenalter noch anfangen, Cello zu lernen?
Weil es einfach wahnsinnig viel Spaß macht! Das Cello ist vom Tonumfang her der menschlichen Stimme am ähnlichsten, und ich glaube auch, dass das einer der Gründe ist, warum es die Menschen so besonders in der Seele berührt. Cello spielen zu können hat aber, gerade für Erwachsene, auch ganz viele praktische Vorteile und positive Auswirkungen auf alle möglichen Lebensbereiche: Man hat in unseren heutigen hektischen Zeiten etwas, wobei man sich ganz auf sich selbst besinnen kann, und man kann durch gemeinsames Musizieren soziale Kontakte knüpfen. Außerdem kann es der Gesundheit förderlich sein: Ich kenne selber einige Leute, die die Medikamente nicht mehr nehmen mussten, die sie vorher gebraucht haben, oder die ihre altersbedingten „Zipperlein“ plötzlich viel erträglicher fanden. Und: Wenn man irgendwann ins Rentenalter kommt, hat man ein Hobby, das man weiterführen kann, sodass nicht so ein Loch im Leben entsteht.
Aber was Sie da beschreiben, gilt doch eigentlich für jedes Instrument. Oder würden Sie sagen, dass es auf das Cello in ganz besonderem Maße zutrifft?
Das gilt grundsätzlich für jedes Instrument, das stimmt. Aber wenn es um das gemeinsame Musizieren geht, ist das Cello besonders vielseitig. Es ist ja in erster Linie ein klassisches Instrument, aber eben lange nicht nur! Ich spiele ja selber auch Tangos und in einer Rock-Band, und auch innerhalb von anderen Genres kann man mit jedem anderen Instrument zusammen spielen, und zwar jeweils als Begleit- oder als Melodieinstrument. Das heißt, jeder kann sich aussuchen, in welche musikalische Richtung er sich entwickeln möchte und in welcher Besetzung er spielen will.
Wie entstand Ihre Idee, eine Celloschule für Erwachsene herauszugeben?
Ich kam auf die Idee, weil ich erwachsene Schüler hatte und in den Musikalienhandlungen kein passendes Material für den Unterricht gefunden habe. Für Kinder und Jugendliche gibt es ja sehr viele Celloschulen, aber für Erwachsene eben nicht.
Das Ganze hat also eine echte Marktlücke geschlossen. Durch welche Besonderheiten zeichnen sich Ihre Hefte denn aus?
Das Besondere an meiner Schule ist, dass man ausdrücklich keinerlei Vorkenntnisse mitbringen muss. Man lernt damit das Cellospielen, aber auch das Notenlesen und wichtige Dinge aus der Musiklehre und Musikgeschichte. Dieses Zusammenspiel macht es aus. Außerdem habe ich meine Schule auch bewusst so aufgebaut – und dieses Konzept habe ich aus der Unterrichtspraxis heraus entwickelt –, dass die Lernschritte klein und übersichtlich genug sind, um auch als Erwachsener voranzukommen und Erfolgserlebnisse haben zu können, auch wenn man nicht unbedingt täglich zwei Stunden Zeit zum Üben hat – bei Erwachsenen ist die Übezeit ja doch eher begrenzt. Im Verlauf der beiden Bände bekommt man alles an Rüstzeug, an technischen Voraussetzungen und musikalischen Kenntnissen mit, was man braucht, um sich in seine gewünschte musikalische Richtung entwickeln zu können.
Wie hat man sich dieses „Entwickeln aus der Unterrichtspraxis heraus“ genau vorzustellen?
Ich habe erst überlegt, was man meiner Meinung nach alles können muss, um Kammermusik machen oder eben einfach die Werke spielen zu können, die schon komponiert sind, und daraus eine Liste erstellt. Daran schloss sich die Frage an, wie ich diese Dinge am besten vermitteln könnte. Ich habe angefangen, Sachen zu komponieren oder zu arrangieren, und das mit den Schülern ausprobiert. Das, was bei allen gut funktioniert hat, hat am Ende Eingang in meine Celloschule gefunden, die eine oder andere Idee, die sich in der Praxis als nicht so nützlich erwiesen hat, habe ich wieder verworfen. Und dann habe ich das Ganze noch mit dem entsprechenden Hintergrundwissen kombiniert, damit man eben auch versteht, was man da tut.
Was hat es denn eigentlich mit dem kleinen Zusatz „neugierig“ im Titel auf sich?
Damit ist gemeint, dass man einfach neugierig sein sollte auf das Instrument. Bei Kindern ist ja diese Neugierde sehr stark ausgeprägt, wenn sie etwas Neues probieren: Sie gehen da ohne Vorbehalte ran und „machen einfach mal“. Erwachsene sind manchmal voreingenommener, machen sich mehr Gedanken. „Neugierig sein“ ist also zu verstehen im Sinne von: „Lust drauf haben“, „einfach mal probieren“, „sich mal drauf einlassen“.
Wie sind die Hefte im Groben aufgebaut?
Beide Hefte knüpfen nahtlos aneinander an. Im ersten Band lernt man nacheinander die vier Finger der linken Hand, erst in der engen Lage, dann in der weiten Lage nach unten. Los geht es mit dem dritten Finger, weil dadurch die Hand gleich eine sehr große Stabilität bekommt. Als nächstes kommt der erste Finger dazu, dann der vierte. Damit sind die Dur-Tonleitern in C-, D- und G-Dur vollständig und man kann schon richtig Stücke spielen. Mit etwas Abstand ist dann der zweite Finger dran. Der ist erfahrungsgemäß ein bisschen schwieriger zu positionieren, darum hat es sich bewährt, ihn erst einzuführen, wenn die anderen Finger schon schön stabil sind. Dann geht es, wie gesagt, um die weite Lage nach unten. Und parallel dazu wird für den Bogen alles Wesentliche erklärt: erst mal die grundsätzliche Haltung und Bogenführung, aber dann auch verschiedene Stricharten wie Menuett-Strich, Springbogen, Bindungen, gebundene Saitenübergänge und so weiter. Dabei steht von Anfang an das gemeinsame Musikmachen und -erleben ganz stark im Vordergrund: Für einige Stücke gibt es eine Klavierbegleitung; ansonsten kann der Lehrer auch immer eine zweite Cellostimme mitspielen. Im zweiten Band kommen dann die weite Lage nach oben sowie weitere Besonderheiten für die rechte Hand dazu. Zwischendurch gibt es in beiden Bänden immer wieder Exkurse zu Themen der Musikgeschichte oder Notenlehre. Was die Stücke betrifft, habe ich jeweils Literaturstücke (also Mozart, Beethoven, Lully und so weiter) mit eigenen Kompositionen gemischt. Das ist auch für die Schüler so ganz reizvoll – jedenfalls dem Feedback zufolge, das ich bekommen habe. Wichtig ist außerdem, dass ich immer wieder dazu ermutige, wirklich „musikalisch“ zu spielen, also zum Beispiel sinnvoll zu betonen, den Körper im Takt mitzubewegen etc. Mir geht es um einen ganzheitlichen Unterricht, der den Körper, den Atem und die bewusste Wahrnehmung von beidem mit einschließt. Und ab und zu rege ich auch dazu an, gemeinsam mit dem Lehrer Melodien selber zu improvisieren.
Und dieses gemeinsame Musizieren, das so betont wird: Ist das auch der Grund dafür, dass Sie in Ihrem Vorwort schreiben, die Hefte könnten keinen Lehrer ersetzen?
Das ist einer der Gründe, wobei es zum ersten Band ja inzwischen auch eine Mitspiel-CD gibt, das heißt die Schüler können auch zu Hause mit Begleitung spielen. Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Cellospielen ist doch ein ziemlich komplexer Ablauf von Bewegungen und man muss auf vieles achten. Darum ist es wichtig, dass ein Lehrer da ist, der immer wieder draufguckt und Tipps gibt, der einfach das Gesamtbild im Blick hat. Mit der CD kann man vielleicht seine Intonation trainieren, aber alles, was nicht unmittelbar mit dem Instrument zu tun und trotzdem große Auswirkungen auf das Musikalische hat – zum Beispiel wie man zusammen atmet, wie man einen Einsatz gibt –, kann man eigentlich nur mit einem Lehrer gemeinsam erarbeiten.
Wie lange könnte es Ihrer Einschätzung nach in etwa dauern, beide Bände durchzuarbeiten?
Das ist wirklich sehr individuell. Ich würde mal sagen, wenn man jede Woche Unterricht hat und so halbwegs zum Üben kommt, vielleicht zwei bis drei Jahre. Allerdings mache ich persönlich niemals nur mit meinen Schulen Unterricht, sondern ich ergänze das immer auch durch Stücke aus anderen Heften. Das ist in die genannte Zeitspanne mit einberechnet.
Wie viel Übezeit empfehlen Sie Ihren Schülern zwischen den Unterrichtsstunden?
Das Entscheidende ist die Regelmäßigkeit. Das ist ähnlich wie beim Sport: Einmal die Woche ist weniger effektiv, als wenn man jeden Tag ein bisschen was macht. Ideal ist es natürlich, wenn man jeden Tag eine halbe Stunde einrichten kann und sich am Wochenende dann auch mal ein bisschen länger hinsetzt.
Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, Cellolehrerin zu werden? Was macht Ihnen daran Spaß? Und warum gerade diese Spezialisierung auf Erwachsene?
Also, ich bin Lehrerin geworden, weil es für mich einfach das Tollste auf der Welt ist, Cello zu spielen! Und ich glaube, dieses Feuer, das da in mir brennt, kann ich auch ganz gut weitergeben. Es ist einfach schön zu sehen, wenn Leute an dem, was mir selber so viel Spaß macht, genauso viel Freude haben. Früher an der Musikschule habe ich lange Zeit Kinder unterrichtet. Da ist es manchmal ein bisschen schwierig: Man muss immer hinterher sein, dass die halbwegs diszipliniert üben; außerdem muss man die Inhalte altersgerecht vermitteln. Da ist die Kommunikation mit Erwachsenen natürlich einfacher. An der Arbeit mit Erwachsenen finde ich aber besonders spannend, dass es für sie meistens irgendeinen konkreten Anlass gibt, mit dem Cellospielen anzufangen. Oft hat ein Bruch im Leben stattgefunden – die Kinder sind aus dem Haus, es gab eine Trennung oder jemand hat eine Krankheit überwunden – und das Cellospielen gibt ihnen dann neue Kraft. Im Grunde bin ich eine „Träume-Erfüllerin“ von Beruf. (lacht) Von ganz vielen Leuten höre ich, wenn sie mit dem Unterrichtnehmen anfangen, den Satz: „Ach, davon habe ich eigentlich immer schon geträumt, und jetzt mach ich das endlich!“ Das ist natürlich toll für mich!
Ist die Herangehensweise beim Unterrichten von Kindern auch ganz praktisch – unter technischen Gesichtspunkten – eine andere als beim Unterrichten von Erwachsenen?
Nein, die Lernschritte in meiner Celloschule könnte man so, wie sie sind, auch auf Kinder übertragen. Die Texte sind zwar für Erwachsene formuliert und es gibt keine Bildchen (Fotos schon). Außerdem ist die Stückauswahl auch eher auf Erwachsene ausgerichtet, das heißt es sind natürlich keine Kinderlieder drin, sondern eher bekannte Melodien aus der Klassik. Aber die Technik wird im Wesentlichen in der gleichen Reihenfolge beigebracht.
Für welche neuen Veröffentlichungen Ihrerseits dürfen wir denn sonst noch Werbung machen?
Ich habe, wie gesagt, die Mitspiel-CD zu der Celloschule veröffentlicht, und zwar im Verlag „Klangkisten“, den ich letztes Jahr mit meinem Mann zusammen gegründet habe. Die kann man also bei mir erwerben. Sie hat die Besonderheit, dass man sich die Stücke entweder so anhören kann, wie sie komponiert sind, also mit beiden Stimmen gleichzeitig, man kann aber beim Üben auch beide Stimmen jeweils einzeln hören und dazu spielen. Darüber hinaus habe ich noch drei Notenhefte herausgegeben: „Cello spielen mit Vielen“. Diese enthalten Stücke für vier Celli und sind für Anfänger gesetzt, die eben noch nicht so lange spielen, aber mit anderen gemeinsam musizieren wollen. Purcell, Bruckner, Bach, Händel oder auch Tschaikowsky sind darin vertreten, und auch eine Eigenkomposition von mir, die bei der Aufführung sehr gut angekommen ist. Der vierte Band ist gerade in Vorbereitung. Und natürlich habe ich mit meiner Band „Someone´s Diary“ zusammen letztes Jahr unser Debütalbum veröffentlicht: „Pieces“. Das haben wir komplett selber komponiert und aufgenommen.
Haben Sie „Cello spielen mit Vielen“ für Ihre Schüler geschrieben?
Nein, auf die Idee bin ich gekommen, weil ich einmal im Jahr in der Landesmusikakademie Rheinsberg Celloseminare veranstalte. Das sind Kurse für Erwachsene, die noch nicht allzu lange spielen, aber vierstimmig Musik machen möchten. Für dieses Niveau habe ich aber auch einfach keine passende Literatur gefunden. Darum habe ich dann eben Stücke dafür geschrieben bzw. arrangiert, und weil ich dachte, es könnte auch andere Interessenten dafür geben, habe ich sie dann veröffentlicht.
Die letzte Frage bei violinorum.de-Interview ist immer dem Instrument gewidmet. Was für ein Cello spielen Sie und wodurch zeichnet es sich aus?
Ich spiele ein Cello von Ekkard Seidl aus Markneukirchen, das wurde 2003 gebaut, und ich bin sehr glücklich und zufrieden damit! Es hat einen sehr warmen, ausgewogenen Klang und viel Strahlkraft, also viel Volumen im Klang.
Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute!
Ich danke auch und wünsche viel Spaß beim Cellospielen!
Info-Link: Zur Website von Julia Hecht …
sehr interessant und klar ! Danke.