Wenn Eltern in Thüringen ihr Kind musikalisch speziell und intensiv fördern möchten, ist der erste Anlaufpunkt meist das Musikgymnasium Belvedere in Weimar. Aber auch die Stadt Gera gibt Schülern die Möglichkeit, ein speziell auf Musik ausgerichtetes Abitur abzulegen. Das mitten in der Stadt liegenden Goethe-Gymnasium ist kein reines Musikgymnasium, sondern eine normale Schule mit einer zusätzlichen Musikspezialklasse, die von der 9. und bis zur 13. Klassenstufe besucht werden kann. Der vollständige Name weist auf die lange Tradition der Schule hin: Goethe-Gymnasium Gera – Rutheneum seit 1608.
Als Schüler der M-Klasse erhält man einen intensiven Musikunterricht in den Fächern Musikgeschichte, Musiktheorie und Gehörbildung, und zusätzlich Chor, Gesangsunterricht und Instrumentalunterricht. Für dieses umfangreiche Programm, das zusätzlich zum lehrplanmäßigen Stoff absolviert wird, steht den „M-Klassen“ ein etwas weiter gesteckter Zeitrahmen zur Verfügung. Rainer Müller, Leiter der Musikspezialklassen, erklärt: „Die Belastung für die Schüler der Spezialklasse für Musik war einfach zu hoch, und das Kultusministerium hat den Schulen mit einer Spezialausbildung angeboten, diesen Klassen ein zusätzliches Jahr zu geben. Somit wird die allgemeine Bildung nicht vernachlässigt, und es kann in unserem Fall die Musik auf einem hohen Niveau gelehrt werden.“
In den Genuss dieser Ausbildung kommen nicht nur Schüler aus Gera und Umgebung: „Die Schüler kommen mittlerweile aus ganz Deutschland und über die deutschen Grenzen hinaus. Wir haben Schüler aus China, den Niederlanden und den USA“, fasst Rainer Müller zusammen. Eigens für die auswärtigen Schüler gibt es ein Internat, in dem sie die Woche über wohnen.
Bevor man die Musik-Spezialklasse besuchen kann, ist eine Aufnahmeprüfung zu absolvieren. Die Anforderungen in der Prüfung sind ein kurzes Vorspiel auf dem Instruments seiner Wahl, Vorsingen und ein kleiner Test in Theorie und Gehörbildung.
Die Fächer Musikgeschichte, Theorie und Gehörbildung sind in den normalen Stundenplan eingebunden, während der Gesangs- und Instrumentalunterricht und der Chor an den Nachmittagen stattfinden. Im Unterschied zu Belvedere in Weimar kann das Gymnasium in Gera nicht auf Lehrkräfte einer Hochschule für Musik zurückgreifen, und so findet der Unterricht der meisten Instrumente an der örtlichen Musikschule statt. Am Goethe-Gymnasium selbst gibt es Unterricht in Klavier, Gitarre und Orgel. Für das gemeinsame Musizieren bedeutet das aber praktisch keine Einschränkungen, wie Rainer Müller unterstreicht: „Die Spannbreite der Instrumente, die an der Schule gespielt werden ist sehr groß, und bis auf Tuba und Waldhorn kann ein Orchester bestückt werden.“
Die Fortschritte auf den Instrumenten und im Gesangsunterricht werden in regelmäßigen Prüfungen dokumentiert, in der 9. und 10. Klasse am Ende des Schuljahres und im Kurssystem halbjährlich. Zu dieser Zeit ist die Spannung im ganzen Schulhaus zu spüren und gibt schon mal eine Vorahnung, wie sich spätere Probespiele oder Aufnahmeprüfungen anfühlen könnten.
Eine Abwechslung zum Einzelunterricht sind die zweimal wöchentlich stattfindenden Chorproben. Hier versammeln sich alle M-Schüler und widmen sich dem breiten Spektrum der Chorliteratur. Dabei gibt es nicht nur den Großen Chor, sondern auch den Mädchenchor und den Konzertchor. Für letzteren ist ein Vorsingen obligatorisch. Unter der Leitung des in Gera geborenen und in Weimar studierten Chorleiters Christian Frank hat der Chor viele Konzerte gegeben und Wettbewerbe gewonnen. Als Schüler bekommt man hier nicht nur eine intensive musikalische Bildung, sondern sieht zusätzlich viel von der Welt, denn die Wettbewerbe und Konzertreisen sind international. Reiseziele der Chöre waren in den vergangenen Jahren Italien, Griechenland, Ungarn, die USA und Südkorea.
Dass die musikalische Ausbildung nicht allein Leistung hervorbringen soll, sondern auch eine willkommene Abwechslung im Schulalltag und Unterhaltung bieten kann, zeigen die regelmäßig stattfindenden „Musi-Abende“. Diese Veranstaltungen, die mit und von Schülern veranstaltet werden, geben einen Einblick in die Vielfältigkeit und das Talent der einzelnen Musiker. Hier ist jeder eingeladen, sich musikalisch zu präsentieren. Ein besonderes Ereignis ist der am Ende des Schuljahres stattfindende „Abschluss-Musiabend“. Dieser wird allein von der Abschlussklasse gestaltet und bildet einen in Erinnerung bleibenden Abschied von der Schule.
Und was kommt nach dem Abitur am Goethe-Gymnasium (Rutheneum)? Viele Absolventen der Musik-Spezialklassen entscheiden sich tatsächlich für eine musikalische Laufbahn. Hier scheint sich das zusätzliche 13. Schuljahr durchaus positiv auszuwirken und die Startchancen ins Berufsleben zu verbessern, so Rainer Müller: „Das zusätzliche Jahr hat insgesamt die Leistung der Schüler erhöht. Der Notendurchschnitt der Abschlussklassen liegt zwischen 1 und 2. Die musikalische Leistung ist ebenso gestiegen. Das zeigt sich einerseits in den gewonnenen Chorwettbewerben, an denen weltweit teilgenommen wird und bei denen der Chor als Botschafter und Markenzeichen für die Stadt Gera fungiert. Andererseits entscheiden sich mehr Abiturienten für ein Musikstudium. Vom letzten Jahrgang, also 2013, haben von 21 Schüler 14 ein Musikstudium begonnen und das auch in verschiedenen Bereichen. Neben Schulmusik, Musikwissenschaft und Kirchenmusik wurde sich für Klavierbau und Komposition entschieden.“
Interessante Links:
Website des Goethe-Gymnasiums Gera / Rutheneum seit 1608
Website der Musikschule „Heinrich Schütz“ in Gera
Von Henriette Rosenkranz, die selbst Absolventin des Goethe-Gymnasiums/Rutheneum Gera ist.