Proben und Auftritte in Zeiten der Pandemie – Risiken und Problemlösungen
Ende März 2020 brachten die Schutzmaßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie das kulturelle Leben in Deutschland und vielen anderen Ländern praktisch zum erliegen. Neben den großen und kleinen Institutionen des professionellen Musikbetriebs schlossen auch die Musikschulen ihre Tore, und das nicht nur für den Instrumentalunterricht, sondern auch für die so wichtige Orchester- und Ensemblearbeit.
Inzwischen haben die meisten Schulen ihren Unterricht wieder aufgenommen, entsprechend den gelockerten Vorschriften in ihren jeweiligen Bundesländern und Kommunen. Eine gewisse Unsicherheit besteht allerdings vielerorts noch in der Frage, ob die verschiedenen Orchester und Ensembles wieder proben und auftreten können – und unter welchen Bedingungen.
Dieser Beitrag gibt einige Hinweise zu relevanten Forschungsergebnissen und Vorschlägen, wie dieser wichtige Bereich der Musikschularbeit und der Laienmusik unter den Vorzeichen der Pandemie gestaltet werden kann – sodass Gesundheitsrisiken vermieden werden, ohne die Freude und die Lerneffekte des gemeinsamen Musizierens zu sehr einzuschränken.
Auf der Bühne: Musiker und Covid-19
Für die Mitglieder eines Musikschulorchesters oder anderer Ensembles beginnt das Nachdenken über die Corona-Pandemie nicht erst am Tag des Auftritts, sondern – und vor allem – bei der Gestaltung der regelmäßigen Proben. Sie bergen allgemeine und spezifische Risiken:
- Allgemeine Risiken, insofern eine Orchesterprobe naturgemäß eine Versammlung von Menschen ist – und zwar von Menschen, die ihren sonstigen Alltag zumeist nicht teilen;
- und spezifische Risiken, die mit den typischen Abläufen der Probe zusammenhängen; dazu gehören besonders die bislang nicht abschließend geklärten Infektionsrisiken durch Blasinstrumente.
Die Bewertung der allgemeinen Risiken hängt stark mit der Größe des Ensembles zusammen, denn auch wenn die jeweils geltenden Corona-Schutzvorschriften nichts Ausdrückliches zu Orchesterproben sagen, greifen doch evtl. Begrenzungen für Versammlungen in geschlossenen Räumen. Diese Versammlungen sind in epidemiologischer Perspektive gerade dann kritisch zu betrachten, wenn es nicht um feste Gruppen wie z. B. Schulklassen geht, die im Infektionsfall als Cluster besser abgegrenzt werden können.
Die verantwortlichen Mitarbeiter der Musikschule sollten deshalb besonders darauf achten, dass während der Probe und in ihrem Umfeld (Ankunft und Abfahrt der Teilnehmer; Aus- und Einpacken der Instrumente) alle erforderlichen Hygienemaßnahmen eingehalten werden können. So sollte z. B. darauf geachtet werden, dass genügend Platz für die Ablage der Instrumentenbehältnisse vorhanden ist; und es empfiehlt sich, die Ensemble-Mitglieder wiederholt darauf hinzuweisen, dass auch vor und nach der Probe die sog. AHA-Regeln einzuhalten sind:
- Abstand halten, in der Regel 1,5 m,
- auf Hygiene achten (Hände waschen/desinfizieren, Hust- und Nies-Etikette)
- Alltagsmasken tragen.
Was die spezifischen Risiken angeht, also die Infektionsgefahren durch typische Abläufe einer Orchesterprobe, gibt es inzwischen einige Untersuchungen zu den Themen Tröpfchen- und Aerosol-Infektionen. Eine differenzierte „Risikoeinschätzung einer Coronavirus-Infektion im Bereich Musik“ hat das Freiburger Institut für Musikermedizin (FIM) in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik Freiburg herausgegeben. Diese Handreichung beschränkt sich für Streichinstrumente aktuell (19. August 2020) auf den Rat, Instrumente nicht gemeinsam zu benutzen bzw. weiterzugeben. Das ist bei Musikschulorchestern insbesondere für das Stimmen der Instrumente relevant, bei dem gerade jüngere bzw. noch nicht so erfahrene Schüler gern auf die Hilfe von Lehrern oder fortgeschritteneren Nachbarn zurückgreifen. Hier sollte man dem Impuls widerstehen, das Instrument schnell selbst zu stimmen, und stattdessen Hör-Hilfe leisten, auch wenn sie zeitaufwändiger und umständlicher ist.
Darüber hinaus sind die Informationen der zitierten Handreichung für alle Instrumentengattungen hilfreich, die im jeweiligen Ensemble vertreten sind. Besondere Aufmerksamkeit kommt in Sachen Covid 19 natürlich den Blasinstrumenten zu, bei denen ein Textilschutz an den Schalltrichtern sinnvoll sein kann, um Tröpfchen- bzw. Aerosol-Belastungen zu verringern. Zudem spielt die Sitzordnung des Ensembles eine wichtige Rolle, bei der 2 m Abstand (radiär) bzw. 1,5 m seitlich eingehalten werden sollen, nach Möglichkeit in einer gestaffelten Aufstellung. Regelmäßiges Lüften, der Raumgröße angepasst, spielt nach Ansicht führender Epidemiologen und Virologen ebenfalls eine entscheidende Rolle, um die Ansteckungsrisiken durch Aerosole zu vermindern.
Ob die Musikschule verpflichtet ist, die persönlichen Daten der Teilnehmer (bzw. des Publikums) zu erfassen, hängt von den jeweils geltenden Verordnungen der Kommune, des Landkreises oder des Bundeslandes ab. Dasselbe gilt für die Anfertigung von Hygienekonzepten und ihre Ausgestaltung.
Bei der Erfassung von persönlichen Daten muss auch unbedingt auf die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben geachtet werden; so ist z. B. von der Auslage offener Anwesenheitslisten abzuraten, weil die persönlichen Daten der Anwesenden dort weitgehend ungeschützt zugänglich sind. Eine Art „Wahlurne“ für individuell ausgefüllte Erfassungsbögen ist meistens die bessere Lösung.
Vor der Bühne: Das Publikum und Covid-19
Am 17.08.2020 haben Wissenschaftler der Berliner Charité mit einer Empfehlung für Aufsehen gesorgt, nach der klassische Konzerte wieder ohne Begrenzung der Zuhörerzahl möglich sein sollten – wegen der besonderen Disziplin des Publikums, das während des Konzerts keine Gespräche führe und von allein einen „sozial angemessenen Abstand“ einhalte. Offenbar haben die Verfasser des Papiers, das vom Vorstand der Charitè rasch wieder einkassiert wurde, lange kein wirklich begeisterndes Konzert mit minutenlangen Standing Ovations und Bravo-Rufen erlebt – und so bleibt es trotz dieses akademischen Vorstoßes einstweilen auch im Bereich des Publikums bei den geltenden Abstandsregeln, Lüftungs- und Hygienemaßnahmen (s. o.)
Perspektive: Luftfilter?
Das Fazit zu Beginn des Musikschuljahres 2020-21 lautet also, dass die Ensemblearbeit und Orchesterauftritte weiterhin ein Risiko darstellen, mit dem nicht jede Musikschule angemessen umgehen können wird. Abstandsregeln und Lüftungsempfehlungen einzuhalten setzt entsprechende Räumlichkeiten voraus – und eine gute organisatorische Vorbereitung und Information sowohl der Verantwortlichen als auch der beteiligten Akteure. Diese oft genannte „neue Normalität“ wird bleiben, bis die medizinische Entwicklung die Pandemie-Risiken durch eine Impfung bzw. bessere Behandlungsmethoden in den Griff bekommen hat.
Ein Lichtblick könnte eine Anfang August 2020 veröffentlichte Studie der Bundeswehr-Universität München sein, die die Wirkung von Luftreinigern auf Aerosole untersucht hat. Nach den Studien-Ergebnissen können professionelle Hochleistungs-Luftreiniger die Aerosolkonzentration im Raum stark senken, wie es auch bei bestimmten Klimaanlagen der Fall ist. Sollten auf dieser Grundlage weitere Erleichterungen des Probe- und Aufführungsbetriebs möglich werden, lohnt es sich, über die Anschaffung solcher Geräte nachzudenken – selbst wenn die Anschaffungskosten aktuell bei mindestens 3.500 € liegen. Die Investition könnte sich auch über die Covid-19-Pandemie hinaus lohnen, denn sie würde Musikschulen auch angesichts der jährlichen Grippewellen und anderer Infektionskrankheiten sicherer machen.
Linktipp: Der Bundesverband Deutscher Liebhaberorchester (BDLO) hat weitere Informationen zu Infektionsrisiken beim Orchestermusizieren zusammengestellt.