Feuersteine und Tierfelle sind Dinge, die in der Steinzeit durchaus nützlich waren, die heutzutage aber niemand mehr unbedingt braucht. Auch das Phänomen Lampenfieber stammt noch aus der Steinzeit – und obwohl das ja wohl auch niemand braucht (ich jedenfalls nicht!), ist es der Menschheit leider erhalten geblieben …
Ich wage zu behaupten, dass jeder Musiker – oder überhaupt jeder, der sich als Künstler oder Redner auf eine Bühne wagt – dieses Gefühl vor dem Auftritt kennt: ganze Ameisenvölker, die in den Eingeweiden herumwuseln, schwitziges Frieren und – am allerschlimmsten – zittrige Hände.
Wie gesagt: Es handelt sich dabei um ein Überbleibsel aus der frühen Menschheitsgeschichte. Gerieten unsere Vorfahren in eine stressige Situation, half ihnen das Adrenalin beim Überleben, indem es sie zum Fliehen oder Kämpfen befähigte. Nun ist es aber doch unbestritten, dass ein Auftritt keine Gefahr für Leib und Leben darstellt! Wozu soll Lampenfieber also gut sein?! Manche Künstler sagen ja, dass das Aufgeregt-Sein sie überhaupt erst zu Höchstleistungen anspornt. Mich – nervt´s.
Schlottern statt Genuss
Ende letzten Jahres hatte ich eine szenische Lesung musikalisch zu umrahmen. Gelesen wurde „Interview mit dem Tod“ von Jürgen Domian; ich spielte je ein Cello-Solostück zu Beginn, nach der Hälfte und zum Abschluss des Textvortrags. Die Veranstaltung war schön, und ich hätte sie gern genossen. Aber es lief genauso, wie ich es erwartet hatte: Ich war eigentlich die ganze Zeit über angespannt. Meine linke Hand machte ein paar kleine Patzer, die rechte zitterte – was natürlich auf Kosten des Ausdrucks gehen musste. Da nützte es mir auch nicht allzu viel, hinterher positives Feedback zu bekommen und zu hören, dass fast niemand meine Nervosität bemerkt hatte. Denn ich wusste ja, dass ich eigentlich besser hätte sein können – ohne dieses Lampenfieber!
Ganz gemein war es auch neulich im Gottesdienst: Ich hatte ein Solo zu spielen und war zunächst eigentlich gar nicht aufgeregt. Ich kannte die Leute, die in den Reihen vor mir saßen (und wusste auch: ‚Von denen kann das zumindest niemand besser als ich …!‘). Und dennoch: Sowie ich mein Cello zur Hand nahm, begann ich wieder zu zittern. Und wie üblich blieb dadurch in Sachen Ausdruck einiges auf der Strecke. Einfach nur, weil ich möglichst gut sein wollte. Schade.
Manche Musiker schaffen es ja, richtig mit ihrem Publikum zu interagieren, während sie spielen. Ich nicht. Im Lampenfieber-Delirium starre ich abwechselnd auf meine Noten und auf den Steg – wie das Kaninchen auf die Schlange – und kriege nichts mehr um mich herum mit. Als krassestes Beispiel dafür sei ein Vorspielnachmittag in meiner früheren Schule angeführt, bei dem sich, während ich auf dem Podium musizierte, eine Mitschülerin im Publikum auf das Grauenhafteste auf das Fischgrätparkett unserer Aula übergab. Und obwohl die Umsitzenden natürlich auseinanderstoben und ein allgemeiner Aufwisch-Trubel folgte, merkte ich von alldem nichts!
Wirksame Gegenmittel?
Fazit: Ich bin nicht wirklich für´s Auftreten gemacht – höchstens im Ensemble, da ist es nicht so schlimm. (Und hier sind wir übrigens auch beim Hauptgrund dafür, warum ich keine Karriere als professionelle Cellistin einschlagen wollte.) Andererseits will ich natürlich nicht immer nur im stillen Kämmerchen spielen, sondern schon ab und zu raus vor ein Publikum! Was für ein Kraut also ist gegen das Lampenfieber gewachsen, vor allem gegen dieses Zittern?
Atem- und Entspannungsübungen: Plunder! (Atme ich überhaupt, während ich vorspiele?! Ist mir noch nie aufgefallen …). Die Auftrittssituation mental visualisieren: Hilft bei mir nichts. Wie gesagt: Selbst wenn ich gar nicht so richtig nervös bin, habe ich im entscheidenden Moment die Hände nicht mehr ganz unter Kontrolle. Durch häufiges Auftreten Routine entwickeln: Hilft auch nichts. In letzter Zeit bin ich zwar nicht mehr so oft auf der Bühne, aber früher gehörte das Vorspielen zu meinem Schulalltag, und dennoch wurde ich keineswegs von Mal zu Mal gelassener, sondern war immer wieder aufs Neue aufgeregt. Rituale vor dem Auftritt entwickeln: Hab ich noch nicht probiert. Enrico Caruso soll sich ja stets einer festgelegten Choreographie von Zähneputzen, Gurgeln, Trinken und Essen unterzogen haben. Essen ist für mich aber keine gute Idee, wenn ich angespannt bin. Was käme dann in Frage? Baldrian-Tee brauen, Gesicht doppelt pudern (gegen die roten Flecken), Cellokasten polieren? Ich weiß nicht recht …
Sehr nett die Vorschläge hier aus dem Forum: nicht viel essen, damit man aggressiver ist; kurz vor dem Auftritt in eine Ecke gehen und eine „Schnecken-Meditation“ machen (also in Gedanken die Windungen der Schnecke nach innen krabbeln und wieder zurück – aber bitte auf beiden Seiten! ;-)); kurz vorher ein paar wilde Striche quer über die Seiten machen, damit alle quietschigen und kratzigen Töne „dann schon weg sind“; Alkohol (der wird ja wohl früher oder später immer bemüht, wenn´s schwierig wird …).
Es scheint also schon noch einiges an Rezepten zu geben, die ich ausprobieren könnte. Aber, ganz ehrlich: Am gesündesten ist es wahrscheinlich, das Lampenfieber zu akzeptieren, mit ihm zu rechnen, und sich nicht zu ärgern, wenn dadurch die Leistung etwas schlechter wird als sie sein könnte.
Übrigens, einen positiven Aspekt kann ich dem Auftritts-Stress doch abgewinnen: Wäre man nicht so nervös, könnte man sich auch nicht so entspannt fallenlassen, sobald man den Auftritt hinter sich hat. Und um dieses wunderbare Gefühl wäre es ja auch wieder schade …