Pfeifen, quietschen, rauschen: Das kennen wir alle nur zu gut. Mein Cello reagiert ausgesprochen zickig auf Kälte und klingt dann als hätte es Kehlkopfentzündung. Und Ihr wisst auch, dass Eure Instrumente zu ganz anderen Tönen fähig sind als Ihr hören wollt… Manche behaupten ja, dass man genau deshalb so früh wie möglich mit dem Unterricht beginnen solle, weil man sich als vier-, fünfjähriges Novizchen an dieser Geräuschkulisse noch nicht so störe. Naja!
Wenn Ihr aber schon ein bisschen was könnt auf Eurem Instrument, solltet Ihr einmal back to the roots gehen, denn diese ganzen Nebengeräusche sind eine spannende Sache. Wie spannend, zeigen wir Euch in unserer neuen Video-Reihe „Bogenzauber“: Streich it like Beckham!
Inspiriert ist dieses Projekt von Barbara Maurers großartigem Buch „Saitenweise“, das bei Breitkopf & Härtel erschienen ist. Eine Fundgrube! Der Untertitel „Neue Klangphänomene auf Streichinstrumenten“ ist viel zu brav, denn die 132 Seiten sind äußerst spannende Lektüre, wenn Ihr an Eurer Geige, Bratsche, Eurem Cello oder natürlich auch Eurem Bass mal ganz neue Seiten entdecken wollt.
Oder wenn Ihr für Eure Ausrutscher wenigstens einen Namen braucht, der nach etwas klingt:
„Dein Strich war aber auch schon besser.“
„Ach was, ich üb gerade Balzato …“
Deshalb fragen wir Profis nach ihren Lieblingstricks – mit Barbara Maurers Buch im Gepäck – und lassen uns ein wenig Ballzauber-Bogenzauber vorspielen, den wir für Euch in kurzen Video-Postings aufarbeiten.
Den Anfang macht Franziska Kraft, die ich in Berlin besucht habe. Als vielseitige Cellistin, die in den unterschiedlichsten musikalischen Welten unterwegs ist, hütet sie einen großen Fundus ungewöhnlicher Klänge und Spieltechniken. Die braucht sie auch, wenn sie mit ihrer Band Tsching durch Balkan-Musik, Tango und Klezmer tingelt oder Volkslieder checkt. Entsprechend ergiebig war die Aufnahme-Session mit ihr, weshalb Ihr sie in mehreren Folgen unserer Reihe zu sehen und zu hören bekommt.
Hier zeigt Euch Franziska, wie Ihr mit Flageolett, Glissando, Vibrato und Ponticello-Exkursionen spookige Geschichten erzählen könnt. Die kleine Geisterstory aus natürlichen Flageolett-Tönen kennen die Cellisten unter Euch wahrscheinlich schon aus dem Unterricht. Das ist auch noch nicht weiter schwer. Richtig schöne Eulen brauchen schon ein bisschen mehr Lockerheit in der linken Hand. Und glaubt ja nicht, dass die Obertonwelten ab 2:06 von alleine aufgehen! Es ist schon was Anderes, solche Töne aus Versehen zu erzeugen – oder sie zu kontrollieren.
Wenn Ihr das Buch „Saitenweise“ schon habt, findet Ihr in den Kapiteln 3.2 und 3.4 Hintergrundinfos zu den Tricks in diesem Video. Hier geht es um das Verhältnis von Bogendruck und Bogengeschwindigkeit und um die Wahl der Kontaktstelle. Wie alle anderen habt auch Ihr erst einmal jahrelang gelernt, einen „normalen“, vollen Klang zu erzeugen: An der optimalen Stelle zwischen Griffbrett und Steg – die berühmte „Mitte“–, und meistens mit dem ganzen Bogen, denn Ihr solltet Euch einen geraden Strich angewöhnen. Ihr wisst, wie Ihr den Druck anpassen müsst, wenn Ihr die Geschwindigkeit ändert (und umgekehrt), damit Ihr immer einen „guten“ Klang bekommt. Klappt inzwischen? Lehrer glücklich, Eltern glücklich? Sehr gut. Jetzt könnt Ihr die Welt des normalen Klanges verlassen.
Bisher war es gar nicht gut, wenn Ihr über dem Griffbrett streicht und das Frequenzspektrum irgendwo in der brummigen Tiefe verschwindet – oder wenn sich der Bogen am Steg herumdrückt und Euer Publikum aussieht, als käme es gerade von einer Zahnwurzelbehandlung. Das alles ist jetzt Geschichte. „Über dem Griffbrett“ heißt von nun an sul tasto, und der obertonarme Klang, der dort entsteht, nennt sich flautando. Je schneller Ihr dabei streicht, desto „flötiger“ wird der Ton; wenn Ihr den Druck erhöht, liegt die Saite irgendwann auf dem Griffbrett. Anders „am Steg“, bzw. sul ponticello: Hier produziert Ihr die schönsten Obertöne. Wahrscheinlich habt Ihr gelernt, dass Ihr dort mehr Druck braucht, weil die Saite kurz vor ihrer Auflagestelle nicht so weich schwingen kann. Das stimmt aber nur, wenn Ihr (auch noch) den Grundton hören wollt. Probiert mal das Gegenteil und streicht bewusst mit wenig Druck und hoher Geschwindigkeit, wie es Franziska im Video zeigt! Barbara Mauers Diagramme (s. Foto) zeigen Euch sehr gut, welche Möglichkeiten Ihr habt. Und Ihr erfahrt, dass es eben nicht bloß richtig und falsch gibt, sondern al dito, alto sul tasto, tasto estr., molto sul tasto, tasto, poco sul tasto, ordinario, poco sul pont, pont, molto pont, pont estr. und sul legno del ponticello.
Bald gibt es übrigens neue Musik von und mit Franziska Kraft, die gerade das Celloduo „Tolkar“ einfädelt. Aktuelle Info findet Ihr demnächst auf ihrer Website franziskakraft.de, wo Ihr auch ihren Newsletter abonnieren könnt.
Zum Schluss noch der übliche Steckbrief zu Barbara Mauers Buch:
Barbara Maurer
Saitenweise. Neue Klangphänomene auf Streichinstrumenten und ihre Notation
132 Seiten mit Illustrationen und Notenbeispielen
Breitkopf & Härtel 2014 (BV 446)
ISBN 978-3-7651-0446-6
26,90 €
Alle Angaben ohne Gewähr.
Hinweis zur Blogger-Ethik: Wir haben ein Rezensionsexemplar des genannten Buches vom Verlag bekommen. Sonst nichts.
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