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Stelldichein auf halber Treppe: Bach und Britten in Schweinfurt, mit Pieter Wispelwey

Die Konzerte im Foyer des Schweinfurter Theaters sind eine feine Angelegenheit an einem recht seltsamen Ort: Dort, wo die Architektur auf halbem Weg zu den Rängen eine Pause einlegt und sich mit einem tiefen Atemzug ihrer Herkunft aus den 60er-Jahren besinnt (also auf einem fulminant nüchternen, vom Willen zur Halle beseelten Treppenabsatz), versammelt sich die verschworene Gemeinschaft der Konzertmieter, um etwas andere Musik zu hören. Die überschaubar bestuhlte Fläche, aus der sich zwei Aufgänge nach beiden Seiten hin zum Obergeschoss emporschwingen, gibt dem Musikgenuss etwas Apéritifhaftes: „Schön! Wann gehen wir rein?“ möchte man fragen – und ich bin sicher noch nie 150 Kilometer weit gereist, um einen Konzertsaal nicht zu betreten.

Pieter WispelweyEs lohnte sich aber, draußen zu bleiben, denn auf einem kleinen Podest am Fuß dieser Doppeltreppe spielte letzten Samstag Pieter Wispelwey, und das war der Grund für meine Reise. Nachdem ich im vergangenen Oktober seine dritte Einspielung von Bachs Cellosuiten für das Codaex-Blog besprochen hatte, schaute ich einmal nach, ob es nicht irgendwo eine Live-Gelegenheit gäbe. Nun, manchmal liegt Schweinfurt nahe genug an Kranichfeld, und das Programm räumte die weiteren Fragen nach der Statthaftigkeit einer solchen Tour rasch beiseite: Ein Cellorezital mit Bachs Suite Nr. 2 in d-Moll und ihrer Schwester in D-Dur Nr. 6, verbunden durch Benjamin Brittens Suite Nr. 2 lässt man sich nicht gern entgehen. Außerdem gehört die abgründige Fahlheit, in der Wispelwey die d-Moll-Suite auf der CD kleidet, zu den großartigsten Momenten dieser Aufnahme – und ist deshalb eine nähere Erkundung wert. Dass mir Britten zudem noch von Alban Gerhardts neuer CD im Ohr sein würde, wusste ich noch nicht einmal, als ich die Eintrittskarten kaufte.

Interessanterweise bekam ich nicht das zu hören, was ich erwartet hatte, das war nach drei Tönen schon klar. Wispelweys Barockcello war an diesem Abend auf 400 Hz gestimmt, nicht auf 392, und seine Interpretation der d-Moll-Suite war um manchen Dreh anders als ich sie von seiner jüngsten CD kannte. Auch wenn ich nicht ganz urteilsfähig bin, da ich dem Cello nicht gegenüber saß und etwas um die Ecke hören musste, war der Unterschied doch enorm. Das klang schon wieder viel vertrauter nach Cello, und auch die Lesart der Suiten war an diesem Abend eine andere – leichter, näher an Wispelweys früheren Aufnahmen von 1990 und 1998, aber auf die besondere Art und Weise spannend, die das Spiel des Niederländers wohl so außergewöhnlich macht.

Dabei geht es nicht um technische Makellosigkeit und Brillianz, sondern um das musikalische Gespräch mit dem Zuhörer, zu dem Wispelwey in der Lage ist wie nur sehr wenige andere. Damit meine ich nicht seine launigen und aufschlussreichen Erläuterungen, mit denen er in die komplexe Welt der Britten-Sonate einführte – Stichworte: „Ich hab´s auch nicht sofort gehört“, oder „Ein grobes Scherzo, das muss so sein – ich werde alles geben“. Nein, es geht um die Interpretation selbst, die die Musik bis in ihre kleinsten Strukturen hinein transparent macht, in den Raum stellt und dreht und wendet wie ein schönes altes Cello, das man gemeinsam von allen Seiten betrachtet.

Pieter Wispelwey - Bach Cello Suiten, CoverGetrieben von Wispelweys persönlicher Neugier entsteht ein künstlerischer Prozess von entspannter Modernität, der die aberwitzigen Kühneiten Bachs mitten in die Gegenwart springen lässt, während sich Britten seiner barocken Seele erfreuen darf. Zusätzliche Würze brachte natürlich auch das Instrumentarium mit sich, das Wispelwey im Kombi von Amsterdam nach Schweinfurt transportiert hatte: Das Barockcello von Pieter Rombouts (1710), das Bachs d-Moll-Suite singen durfte, ein weiteres von Battista Guadagnini (1760) in moderner Ausstattung mit Stahlsaiten auf 440 Hz für Britten, und schließlich ein Violoncello piccolo aus dem 18. Jahrhundert, dessen fünf Saiten ein natürliches Habitat für die Bachsche D-Dur Suite waren. Eine „spannende Meditation“, wie Mathias Wiedemann schreibt, ein eloquenter Vortrag von jemand, der unglaublich viel zu sagen hat, ein Gespräch: Das alles passt in Unterfranken auf einen Treppenabsatz – was für ein Celloabend!

Autor: Nils-Christian Engel
Bildnachweis: www.pieterwispelwey.com

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Nils-Christian Engel ist begeisterter Amateur-Cellist

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