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Lena Neudauer im Gespräch über Ravel, Spielfreude und Lackkratzer

Lena Neudauer - Ravel, CD-CoverLena Neudauer beweist erneut ihre Liebe zum Wagnis und widmet sich auf ihrer neuen CD den Violinwerken Maurice Ravels. Wir sprachen mit ihr über den Rausch der Farben – und frische Macken an ihrer Guadagnini.

Noch ist die Diskographie von Lena Neudauer überschaubar – zwei CDs hat die 1984 geborene Solistin veröffentlicht, und schon ihr Debüt bei Hänssler Classic vor drei Jahren fand reichlich Beachtung und Lob. Wer nach dieser Einspielung der Kompositionen für Violine und Orchester von Robert Schumann die Latte bereits hoch liegen sah, wird sie nun noch etwas höher legen müssen – denn mit den Violinwerken von Maurice Ravel gelingt ihr eine Aufnahme, der fraglos Referenzcharakter zukommt.

Brilliant meistert Lena Neudauer die komplexen technischen Herausforderungen dieses biographisch und künstlerisch weit gespannten Programms, und zeigt dabei nicht nur Mut, sondern auch ihren ausgeprägten Sinn für vermeintlich schwer zugängliche musikalische Welten. Es ist viel Ravel zu entdecken in dieser Auswahl: Während die Sonate für Violine und Klavier von 1897 eine vielversprechende Arbeit des Kompositionsstudenden und frischgebackenen Klavier-Abbrechers ist, reflektiert die Sonate in G-Dur von 1927 mit ihrer vierjährigen Entstehungsgeschichte die letzte Werkphase Ravels. Dazwischen liegen die Sonate für Violine und Cello und die Konzertrhapsodie Tzigane, die die Zuwendung des Komponisten zu einem asketischeren, nüchterneren Stil repräsentieren. Ein weiteres Zeugnis seiner harmonischen Kühnheiten liefert die Berceuse sur le nom de Gabriel Fauré, mit der Ravel 1922 seinem Lehrer zum 77. Geburtstag gratulierte. Auch das Feld der Bearbeitungen betritt Neudauer ohne Scheu, die auch vollkommen unberechtigt wäre, angesichts der vorzüglichen Version der Habanera von Fritz Kreisler und des von Lucien Garban für Violine eingerichteten Liedes Kaddish.

Dass mit den beiden Sonaten großartige Kompositionen für Violine und Klavier am Anfang und am Ende von Ravels Werk stehen, ist erstaunlich, hielt er selbst diese beiden Instrumente doch eigentlich für unvereinbar. Gleichwohl lässt Neudauer in exzellentem Zusammenspiel mit Paul Rivinius keinen Zweifel daran aufkommen, wie hochkarätig Ravels musikalische Ergebnisse sind. Ein analoger Glücksfall ist die Interpretation der Sonate für Violine und Cello mit Julian Steckel. In selten zu hörender Leichtigkeit und Präzision setzen die drei Musiker ein weites Spektrum interpretatorischer Mittel ein, um die rätselhafte Kunst Ravels zu erschließen, ohne sie zu entzaubern.

So ist diese Aufnahme ein ansteckender Beleg dafür, dass Ravel ungemein Freude machen kann, und Lena Neudauer widerspricht dem verbreiteten Urteil entschieden, dieses musikalische Idiom sei zu kompliziert, überkomplex und verknotet: „Ravel ist ein Klangerlebnis für alle Sinne, ich bin regelrecht berauscht von der Farbvielfalt und von der manchmal so geheimnisvollen Atmosphäre seiner musikalischen Welt.“ Dem tut die sprichwörtliche Perfektion des Uhrmachers unter den Komponisten keinen Abbruch, im Gegenteil: „Ich bin immer auf der Suche nach dem ultimativen Klang, somit kommt mir diese Eigenschaft von Ravels Werken sehr entgegen.“ Und so waren die Tage im Studio am meisten von Spielfreude geprägt: „Wir sind tatsächlich ein eingespieltes Team, wir sind gute Freunde und freuen uns jedes Mal sehr, wenn wir uns sehen und noch dazu musizierend Zeit miteinander verbringen können.“

Freilich sind außerordentliche Fähigkeiten auf der Geige die zwingende Voraussetzung, diese spezielle Freude teilen zu können. An diesem Punkt muss sich Neudauer bekanntermaßen nichts vorwerfen lassen: Mit drei Jahren kam sie zur Geige und hätte eine veritable Wunderkind-Karriere absolvieren können, wenn, ja wenn da nicht der Ausbruch der 15jährigen Gewinnerin des Leopold-Mozart-Wettbewerbs gewesen wäre. Statt die Bühnen der Welt zu erobern, konzentrierte sich Neudauer auf die Geige und experimentierte u. a. in Rockmusik und Improvisation. Profitiert davon vielleicht auch die Beschäftigung mit Ravel, dessen Tzigane einer komponierten Improvisation nahe kommt, und der im zweiten Satz der Sonate von 1927 mit Jazz- und Bluesstrukturen spielt? Sicher habe diese Phase in ihrer Biographie Spuren hinterlassen, sagt Neudauer: „Da ich in meiner musikalischen Arbeitsweise auch sehr streng bin, z. B. was die Urtext-Treue betrifft oder bestimmte ‚Regeln‘ der historischen Aufführungspraxis, ist diese nahezu grenzenlose Freiheit beim Improvisieren ein sehr guter Ausgleich.“

Auch Ravels Werdegang kannte Umwege und Brüche, möchte man hinzufügen. Rät die Professorin an der Hochschule für Musik Saar ihren Studenten zu ähnlichen Sprüngen, auch wenn sie zu Lasten des Curriculums gehen? Nicht wirklich, stellt Lena Neudauer klar, denn „die Verantwortung, meinen Studenten mit derartigen Tipps möglicherweise die Laufbahn zu vermasseln, würde ich niemals tragen wollen. Wenn ich merke, dass jemand einfach überhaupt keine Inspiration hat, empfehle ich natürlich mal, die ein oder andere Kleinigkeit auszuprobieren, sei es andere Musik als klassische zu hören, zu tanzen, einen Film zu sehen, das Leben etwas mehr zu erforschen – aber nichts, was schwerwiegende Folgen haben könnte. Das Unterrichten an sich bedeutet schon eine sehr große Verantwortung.“

Zu den verlässlichen Partnern im musikalischen Leben Neudauers gehören nicht zuletzt ihre 1743 gebaute Violine von Lorenzo Guadagnini und ihr Bogen von François Nicolas Voirin. Wie geht es den beiden nach der Ravel-Expedition? Gab es Stellen, an denen das Instrument besonders überzeugt werden musste? „Meine liebe, alte Guadagnini hat mich noch nie enttäuscht!“ Tatsächlich hatte aber auch sie einiges zu leisten bei diesem Projekt: „Sie hat ihre Eigenheiten, wie z. B. sehr ausgeprägte Wolfstöne in den hohen Lagen der G-Saite, oder die falsche Temperatur oder Luftfeuchtigkeit kann schon mal eine gewisse Verstimmung auslösen. Etwas schwieriger für sie durchzustehen waren vielleicht meine rücksichtslosen, aggressiven Pizzicati in den beiden großen Sonaten und der Tzigane. Da kann es schon mal passieren, dass man mit dem Fingernagel oder mit der Schraube des Bogens das Holz zerkratzt und eine unschöne Macke hinterlässt …“

Nun, gewisse Spielspuren stehen einem herausragenden Instrument sicher gut, und rechtfertigen sich allemal durch Erfolge wie diese rundum empfehlenswerte CD.

Linktipps:

Website von Lena Neudauer
Website von Paul Rivinius
Website von Julian Steckel

Author:

Nils-Christian Engel ist begeisterter Amateur-Cellist

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