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Der „ökologische Fußabdruck“ einer Geige

Nie im Leben kämen mir Möbel aus exotischen Hölzern ins Haus! Aber wie steht es um mein Cello? Selbiges hat ja wohl ein Griffbrett aus … jawohl, aus Ebenholz. Ups. Und der Bogen? Fernambuk mit einem Frosch wiederum aus Ebenholz. Noch mal ups.

In den letzten Jahren scheint die Notwendigkeit, die (Regen-)wälder dieser Erde zu schützen, zunehmend ins Bewusstsein zu rücken. Die etwas unangenehme Frage, die ich mir nun stelle, ist: Geht dieses Problem auch uns Musiker an?

Nun, ganz neu ist diese Frage nicht. In den Geschäftsräumen des Gitarrenherstellers Gibson (Nashville, USA) fand man im August 2011 tropische Hölzer aus illegalen Quellen. Die Firma versuchte daraufhin, das so genannte „Lacey“-Gesetz, das die Einfuhr genau solcher Hölzer in die USA verbietet (das europäische Pendant dazu ist die seit März 2013 geltende „EU-Holzhandelsverordnung“), durch einen entsprechenden Antrag an den US-Kongress aufzuweichen oder abzuschaffen. Aus Protest gegen diese Aktion veranstalteten madagassische Musiker wie Razia Said und Jaojoby Konzerte für den Regenwald, pflanzten Bäume und riefen zur Unterstützung des „Lacey“-Gesetzes auf. Ja, das Problem geht uns an!

Klar: Der überwiegende Teil an Tropenhölzern wird für die Produktion von Luxusmöbeln u. Ä. verwendet. Überhaupt ist der Holzbedarf für Musikinstrumente mengenmäßig kaum der Rede wert – relativ gesehen.

Wie viel Holz jährlich weltweit zu Tonholz verarbeitet wird, lässt sich leider nicht endgültig ermitteln. In einer historischen Chronik über das Instrumentenbauzentrum Markneukirchen ist die Rede von jährlich 10.000 Zentnern dorthin eingeführten und auch dort zu Streich- und Saiteninstrumenten verarbeiteten Holzes (vgl. Berthold, Theodor/Fürstenau, Moritz: Die Fabrikation musikalischer Instrumente und einzelner Bestandtheile derselben im Königlich-Sächsischen Vogtlande. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1876, S. 14). Klingt erst mal viel.

Aktuelle Importzahlen hat das „Thünen-Institut“, das sich mit der Ökonomie der Forst- und Holzwirtschaft befasst: Demnach kommen jährlich unter 10.000 Kubikmeter Holz in Form von Musikinstrumenten „netto“, d. h. ohne Beachtung der Ausbeuteverluste, nach Deutschland (davon sind weniger als 800 Kubikmeter Tropenholz).

Schaut man sich nur die Streichinstrumente an (und zwar diesmal unter Berücksichtigung der Verluste – in so genannten „Rohholzäquivalenten“), so waren es z. B. im Jahr 2009 136 Kubikmeter bzw. 188 Tonnen, die allein aus China zu uns kamen. 142 Kubikmeter bzw. 199 Tonnen waren es insgesamt – was meiner eigenen, möglicherweise unzuverlässigen und groben Rechnung nach ca. 118 Stämmen entsprechen dürfte (übrigens: Dem Thünen-Institut zufolge werden die Ausbeuteverlustmengen, also die Teile des Stammes, die kein Tonholz werden, „fast vollständig zur Spanplatten-, Zellstoff- oder Holzpelleterzeugung eingesetzt“).

118 Stämme also – das allein klingt schon gar nicht mehr so viel. Und wenn man dann noch berücksichtigt, dass die Holzeinfuhr über Musikinstrumente in Relation zu den Gesamteinfuhren Deutschlands an Holz und Produkten auf Basis Holz gerade mal 0,03 % ausmacht, und dass derzeit wieder einmal riesige Flächen brasilianischen Regenwaldes brandgerodet werden, um mehr Platz für die Landwirtschaft zu erhalten, könnte man endgültig ins Zweifeln kommen, ob das Thema „Ökologisches Bewusstsein im Geigenbau“ überhaupt der Betrachtung wert ist …

Die Fragen nach Herkunft, Legalität und Nachhaltigkeit interessieren mich aber trotzdem – und ganz besonders interessiert mich, ob sie im deutschen Geigenbau eine Rolle spielen.

Was Ebenholz angeht, liegt die Sache relativ klar: Ende 2011 hat Madagaskar 104 Arten von Ebenholzgewächsen auf den CITES-Anhang III gesetzt („CITES“ steht für „Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora“). Das bedeutet, dass der internationale Handel mit diesen Hölzern zwar überwacht wird, aber legal ist: Für Stämme, Holzblöcke, Bretter oder Furnierblätter aus Ebenholz braucht ein deutscher Instrumentenbauer ein CITES-Exportdokument des Ausfuhrlandes und eine Einfuhrgenehmigung des Bundesamtes für Naturschutz. Eventuell vorhandene ältere Bestände waren bis zum 11. Juni 2013 dem BfN zu melden und dürfen nun auch behalten bzw. verarbeitet werden (für bereits im Umlauf befindliche Instrumente hingegen ist es natürlich nicht mehr möglich, rückwirkend noch Zertifizierungen einzuholen – was manch einem Instrumentenbauer eventuell leichte Bauchschmerzen bereiten könnte …).

Und was ist eigentlich mit Fichte und Ahorn? Hier ist es außerordentlich schwierig, an Informationen zu kommen: Die Instrumentenbauer bzw. Holzhändler, die ich dazu befrage, möchten sich nicht äußern, und zwar erklärtermaßen nicht aus „schlechtem Gewissen“, sondern um etwaiger Konkurrenz ihre Einkaufsquellen nicht zu verraten – was verständlich ist. Was man mir allerdings schon verrät: Es werden praktisch keine zertifizierten Hölzer nachgefragt.

Dabei gäbe es theoretisch natürlich die Möglichkeit, auch für die nicht-tropischen Hölzer z. B. „FSC“-Kennzeichnungen einzuholen (FSC ist die Abkürzung für „Forest Stewardship Council“; ein Betrieb, der ein FSC-Siegel auf seinen Produkten vorweisen kann, bezieht seine Materialien aus verantwortungsvoll bewirtschafteten Wäldern – soweit das Ideal).

In der Praxis gibt es jedoch ein paar Abers: Erstens sind derartige Verfahren immer mit einem immensen bürokratischen und finanziellen Aufwand verbunden, der besonders von kleinen Betrieben kaum zu leisten ist (die aufgrund des Artenschutzes vorgeschriebenen Zertifikate einzuholen, ist ja schon umständlich genug). Es muss nämlich von Händler zu Händler bis hin zum Musiker jeweils neu zertifiziert werden.

Zweitens ist beim Tonholz nun einmal der Klang das entscheidende Kriterium: Eine Fichte, aus der ein gut klingendes Instrument werden soll, muss langsam und gleichmäßig wachsen, und das tut sie nicht in jeder Höhenlage, will heißen: Man kann nicht einfach irgendwo eine Plantage mit Fichten anlegen, aus denen einmal Instrumente werden sollen (überspitzt könnte man sagen: Was nützt eine FSC-zertifizierte Geige, die nicht klingt?!). Manch ein anspruchsvoller Geigenbauer geht höchstpersönlich in den Wald und sucht sich dort einzelne Stämme aus, die er für geeignet hält. Teilweise kaufen Instrumentenbauer auch altes Holz auf (z. B. Balken aus Abrisshäusern), für das dann natürlich auch kein Siegel mehr zu bekommen ist.

Drittens gibt es da noch eine signifikanten Handel mit „weißer Ware“, also im Ausland vorgefertigten Instrumenten oder Instrumententeilen, die in deutschen Werkstätten angepasst und lackiert werden. In diesen Fällen ist es noch schwieriger als bei Stämmen oder Scheiten, sicherzustellen, dass es sich bei dem Material nicht etwa um illegales Holz handelt. Bereits bei der Ausfuhr aus dem jeweiligen Land dürfte dies äußerst kompliziert sein.

Und überhaupt gibt es kritische Stimmen, die behaupten, Öko-Labels seien sowieso und grundsätzlich nichts weiter als „Mogelpackungen“: Es würden ja trotzdem Wälder abgeholzt; die Plantagen, die man stattdessen anlegen würde, hätten erst einmal nichts mit natürlichen Wäldern zu tun und somit sei das Ganze nichts weiter als ein Greenwashing der bisherigen Praxis. Organisationen wie „TFT“ („The Forest Trust“) wollen dabei helfen, die einzelnen Stationen der Versorgungskette miteinander zu vernetzen, indem sie Waldbesitzern vor Ort helfen, nachhaltige Forstwirtschaft zu betreiben, und diese Unternehmen dann mit ihren Händlern bzw. Herstellern – erklärtermaßen übrigens auch Geigenbauern – in Kontakt zu bringen. Aber auch das kostet natürlich Geld.

Mit anderen Worten: Der kleine handwerkliche Geigenbauer hier in Deutschland hat kaum eine Chance, alle seine Quellen effektiv zu kontrollieren. Große Betriebe könnten das jedoch meiner Meinung nach sehr wohl tun, und somit ist es mir völlig unverständlich, dass sich ein Riesenunternehmen wie „Yamaha“ auf meine Nachfrage, ob bei der Produktion seiner Musikinstrumente Wert auf die Verwendung zertifizierter Hölzer gelegt werde, in Schweigen hüllt!

Bei Bögen sieht es im Übrigen etwas anders aus. Auch der Fernambukbaum ist bedroht. Aber glücklicherweise gibt es verschiedene Firmen (wie „Arcos Brasil“) und auch spezielle Organisationen, z. B. die „Internationale Initiative zur Erhaltung des Fernambukbaums“ („IPCI“), die sich um seine Erhaltung, sprich Wiederaufforstung, kümmern. Alles andere wäre ja auch kurzsichtig – keine neuen Bögen ohne den entsprechenden Rohstoff. Allerdings ist in diesem Fall die Wiederaufforstung auch ein weniger problematisches Unterfangen, da für Bögen Plantagenholz brauchbar ist.

Ein spannender, wenn auch nicht unbedingt weiterführender Aspekt ist die Forschung nach alternativen Werkstoffen für den Instrumentenbau, wie sie z. B. an der „Westsächsischen Hochschule Zwickau“ betrieben wird. Prof. Dr. Gunter Ziegenhals, Lehrbeauftragter im dort angebotenen Studiengang „Musikinstrumentenbau“, erzählt mir von einem „natürlichen Kunststoff“ auf der Basis von „Lignin“ (einem Holzinhaltsstoff), der Holzeigenschaften besitze, aber eben auch aus Holz gewonnen werde – wofür logischerweise auch Bäume sterben müssten. „Und aus Erdöl gewonnene Kunststoffe sind unter ökologischen Gesichtspunkten auch keine wirkliche Alternative“, meint er weiter, „denn Erdöl wird ja bekanntermaßen ebenfalls knapp.“ Und dann gibt es natürlich noch einige wenige Betriebe, die Streichinstrumente aus Carbon, also Kohlefaser, herstellen – die sind zwar angeblich wasserfest, aber optisch wären sie zumindest mein Fall nicht …

Was wäre also als Fazit denkbar? Dr. Enrico Weller, Historiker aus Markneukirchen, fragt mich mit Recht: „Sind es nicht auch die Musiker bzw. – so weit sollte man den Kreis ziehen – sind es nicht am Ende die Konsumenten edler Streicherklänge, die dafür Geld ausgeben, dass man im Konzert auf edlem Material streicht?“ Ich denke, ein öffentliches Bewusstsein dafür zu schaffen, dass uns auch Musikinstrumente letztlich von „Mutter Erde“ geschenkt werden und uns die dafür benötigten Rohstoffe nicht einfach unbegrenzt zur Verfügung stehen, kann also nicht verkehrt sein.

Andererseits sind Instrumente – anders als z. B. Möbel aus Edelhölzern – keine verzichtbaren Luxusgüter, sondern werden benutzt und wirklich gebraucht. Und wenn der einzelne Geigenbauer nicht sicherstellen kann, dass beim Handel alles mit rechten Dingen zugeht, dann muss es eben der Staat tun – und zwar idealerweise möglichst unbürokratisch. Wobei das wahrscheinlich leicht gesagt ist …

Eine Anregung wäre noch die Gründung einer Initiative aller Instrumentenbauer zum Erhalt der Wälder bzw. bestimmter Holzarten, ähnlich der IPCI. Man sieht: Ideen gäbe es schon. Um jedenfalls mit einem optimistischen Statement von Prof. Dr. Ziegenhals zu schließen: „Der Menschheit muss was einfallen. Es gibt verschiedene Ansätze zur Lösung, und wir werden Lösungen finden!“

Author:

Freie Journalistin, PR-Texterin und Lektorin - www.die-textkomponistin.de

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